Hochebene der Anden, einsame Lagunen
Der größte Salzsee der Erde
Die ehemals reichste Silberstadt der Welt
Die Hauptstadt Boliviens
Die größte Stadt Boliviens
Der größte See der Anden mit Sonneninsel und Mondinsel
Dazu fahren wir mit unserem Auto durch die Schranke, die jetzt ohne weitere Papierkontrolle geöffnet wird und folgen der Straße ins Niemandsland. In einiger Entfernung können wir die Gebäude der bolivianischen Grenzstation erkennen. Nach einigen hundert Metern hält unser Fahrer auf einem betonierten Platz an, auf dem schon ein einzelnes anderes Auto steht, dessen Crew uns gleich begrüßt. Bolivien, wir kommen.Unser Gepäck wird im Niemandsland umgeladen, das bisherige Auto fährt zurück und wir fahren mit unserem neuen Guide Miguel und unserem neuen Fahrer Abel zur bolivianischen Grenze. Dort betreten wir eine kleine Hütte, die offensichtlich als Grenzstation dient und an deren Tür ein Schild mit den Öffnungszeiten hängt, gerade hat die Mittagspause angefangen, der Schalter wird erst in knapp zwei Stunden wieder geöffnet. Doch Miguel klopft trotzdem kurz an die Tür und tritt mit uns ein. Ein schläfrig wirkender Beamter hat keine Lust jetzt die ganzen Formulare auszufüllen, er knallt uns die Einreisestempel in die Pässe und schickt uns wieder weg. Ok, wir sind drin, hoffentlich kommen wir in ein paar Tagen auch wieder ohne Probleme hinaus.
Wir fahren zunächst auf guter Schotterstraße ein Stück ins Land und machen dann an einigen interessanten Felsformationen ein ausgiebiges Picknick. Dazu zaubert Miguel Schnitzel mit Reis und Gemüse aus diversen Taschen. Er erkennt recht bald, dass ich die Höhe nicht so super gut vertrage und gibt mir einige Tabletten, die ich einfach alle acht Stunden nehmen müsse, dann wären die Beschwerden bald vorbei. Da wir ja während der kommenden Tage fast immer um oder über viertausend Meter hoch sein werden, lasse ich mich darauf ein, wer will schon den Urlaub mit Kopfschmerzen und Übelkeit verbringen. Da die Dinger nicht sofort wirken, muss ich mich für den Rest des Tages und bis zum nächsten Morgen eben noch ein bisschen durchquälen.
Kurz nach unserer Rast biegen wir von der Schotterpiste auf einen schlechten Feldweg ab, der uns eng und steil immer weiter ins Gebirge führt. Wir kommen zu einzelnen Lagunen, die phantastisch zwischen den Andengipfeln liegen und an deren Ufern wir immer wieder Flamingos und Vikunjas beobachten können. Wir stellen fest, dass das tatsächlich die gleichen Lagunen sind, die wir auf unserer Fahrt ohnehin besuchen wollten, durch unseren Umweg hat sich letztendlich nur ihre Reihenfolge für uns verändert.
Teilweise geht es kilometerweit ohne Wege querfeldein, während der Höhenmesser auf über 4.600 Meter steigt. Wir wundern uns, wie es für Abel möglich ist, in diesem Gelände die Orientierung zu behalten. Nach langer Fahrt sehen wir hinter einem Bergrücken plötzlich eine Hütte, die unser heutiges Ziel ist. Weit und breit ist kein anderes Anzeichen menschlicher Zivilisation zu erkennen, wir sind uns sicher, dass wir am nächsten Morgen ohne einen Führer hier völlig aufgeschmissen wären.
Die Hütte ist nett eingerichtet und bietet grundsätzlich alles, was ein verwöhnter Reisender sich vorstellen kann, also ein Dach über dem Kopf, Betten und Badezimmer mit eiskaltem Wasser. Wir finden keine Heizung und sind mehr als froh, dass wir unsere dicken Schlafsäcke mitgenommen haben. Das Abendessen gibt es in einem kleinen Gastraum, in dem sich ein gusseiserner Ofen vergeblich bemüht, eine angenehme Temperatur zu erzeugen. Durch die Kälte und die Höhenkrankheit ist die Nacht eher durchwachsen, doch irgendwann schlafen wir ein.
Dienstag, 21. Mai 2013
Beim Aufwachen am frühen Morgen ist es nicht nur kalt, sondern auch merkwürdig still. Obwohl wir hier auf 4.600 Metern nicht viele Geräusche erwarten, wirkt alles wie unter einer dicken Decke. Ein Blick aus dem Fenster zeigt, dass das auch tatsächlich so ist, frisch gefallener Schnee hat sämtliche Konturen der Landschaft verschluckt, das kann ja für heute heiter werden. Unser Fahrer ist nicht begeistert, er möchte auf keinen Fall ein Risiko eingehen und alleine bei diesen Verhältnissen unterwegs sein. Zum Glück haben die anderen Autos zunächst das gleiche Ziel wie wir, so dass immer noch jemand anderes in der Nähe sein wird.
Wir erfahren, dass in der Nacht drei Autos verloren gegangen sind, sie hatten den Weg in der Weite der Landschaft nicht gefunden und mussten im Freien übernachten. Erst am Tag finden sie zu ihrem Ziel. Nach einem Frühstück im kalten Restaurant, in dem sich wieder ein kleines Holzfeuer vergeblich müht, fahren wir etwas später als ursprünglich geplant los. Wir queren weite Hänge und Ebenen, die alle schneebedeckt sind, was die Orientierung noch schwieriger macht, als sie in dieser entlegenen Gegend ohnehin schon ist. Mitten im weißen Nichts halten wir an und machen eine Schneeballschlacht, ein nicht alltägliches Vergnügen auf 4.600 Metern Höhe.
Dann, nach ein paar Kilometern lässt der Schnee nach und wir sehen in einiger Entfernung mehrere große Felsblöcke, die von hier aus fast so aussehen wie die Häuser eines Dorfes. Als wir näher kommen, erkennen wir den bekannten Arbol de Piedra unter den Blöcken, der in den Umrissen tatsächlich so aussieht wie ein versteinerter Baum. Um ihn herum finden wir noch andere durch Erosion interessant geformte Felsen, es ist schwer vorstellbar, wie diese Ansammlung von Gestein einmal ausgerechnet hierher in die Mitte der Wüste kam. Außer uns treffen sich hier auch noch einige andere Touristen, zählt der Steinerne Baum doch zu den großen Attraktionen Boliviens.
Sofort nach dem Verlassen dieses Platzes sind wir in der großartigen Umgebung wieder alleine unterwegs und erreichen nach knapp zwanzig Kilometern die Laguna Colorada. Hier auf inzwischen nur noch 4.278 Metern Höhe liegt zwar kein Schnee mehr, trotzdem ist es bitter kalt, was durch den scharfen Wind noch zusätzlich verstärkt wird.
Wir machen einen längeren Spaziergang über die grauen Geröllfelder bis zum Ufer der Lagune, deren Wasser durch Mineralien und Algen intensiv rot gefärbt ist. Vor allem in Momenten, in denen die Sonne durch die Wolkendecke scheint, bildet dieses rote Wasser einen eindrucksvollen Kontrast mit dem kräftigen Grün des Uferbewuchses. An der Lagune leben eine Unzahl Flamingos, die gerade in dem salzigen Wasser eine gute Nahrungsquelle finden. Einige Kilometer weiter kommen wir an der türkis schimmernden Laguna Capina vorbei, wo mit schwerem Gerät Borax für die Verwendung in Waschmitteln und Seifen, aber auch für industrielle Zwecke abgebaut wird.
Danach geht es über mehrere steile Pässe und durch riesige Wüstengebiete, immer auf steinigen Pisten in nördliche Richtung unserem heutigen Ziel, dem Salar de Uyuni entgegen. Unterwegs sehen wir Lamaherden und einmal sogar einige Straußenvögel, die hier in den Hochlagen deutlich kleiner sind, als ihre Artgenossen, die wir auf unseren Reisen in Afrika gesehen hatten.
Die lange Fahrt wird um die Mittagszeit zu einem Picknick in einem schönen Felsental am Rande eines kleinen Baches unterbrochen und endet vorläufig am Nachmittag am Rand des riesigen Salzsees. Dort steigt Miguel kurz aus, um die Betreiberin eines lokalen Museums in der Nähe zu suchen. Mit ihr steigen wir einen kleinen und steilen Hang hinauf und betreten eine Grotte mit etwa acht Metern Durchmesser. In dieser Höhle finden sich einige alte Haushaltsgegenstände, wie Tontöpfe und verschiedene Werkzeuge, aber auch ein paar Mumien, die als die eigentliche Attraktion des Museums angesehen werden. In der extrem trockenen Luft dieser Gegend halten sich die Mumien erstaunlich gut, wirken auf uns aber natürlich vor allem gruselig, wie sie so in ihren kleinen Schreinen aus Kaktusholz da sitzen.
Sehr beeindruckend finden wir dagegen eine größere Tonscheibe mit einem Durchmesser von etwa einem halben Meter, in der spiralförmig verschiedene Steine angeordnet sind, die von innen nach außen gelesen wohl die Funktion eines katholischen Rosenkranzes bilden. Miguel versucht der Frau klar zu machen, dass der Rosenkranz möglicherweise sehr wertvoll ist und dass sie ihn vielleicht einmal von Wissenschaftlern untersuchen lassen solle, wir haben nicht den Eindruck dass sie das alles versteht.
Vom Tor des Museums haben wir einen schönen Blick über den Salar de Uyuni, an dessen gegenüberliegendem Rand hohe Berge zu erkennen sind. Ohne es zu wissen würden wir die Entfernung zum anderen Ufer auf vielleicht zwanzig bis dreißig Kilometer schätzen. Dass das viel weiter ist, wird spätestens nach einer guten halben Stunde Fahrt klar, während der wir ständig mit achtzig bis neunzig Kilometer pro Stunde unterwegs waren und immer noch nicht mehr als die Hälfte der Salzebene hinter uns gebracht haben.
Im unendlichen Weiß halten wir an und warten auf den Sonnenuntergang. Um die Stimmung noch schöner zu gestalten, lassen Miguel und Abel auf voller Lautstärke Mozarts Kleine Nachtmusik und andere klassische Stücke im Autoradio laufen. Nachdem die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, färbt sich der Himmel in zarten blau und rosa Tönen, bevor es recht schnell völlig dunkel wird. Die restlichen Kilometer orientiert sich Abel an einigen schwachen Lichtern am Rand des Sees, die vom Hotel in Tahua zu uns herüber scheinen. Das Hotel ist ganz aus Salz gebaut und sehr nett eingerichtet, sogar Tische und Stühle im Restaurant sind aus Salzblöcken angefertigt. Auch hier scheinen Gäste Mangelware zu sein, außer uns ist gerade nur noch eine einzige weitere Familie anzutreffen.
Mittwoch, 22. Mai 2013
Heute früh möchte Abel eine neu gebaute Straße hoch zum Vulkan Tunupa ausprobieren, die vom Dorf als Attraktion für mehr Touristen eingerichtet wurde. Die Straße ist ein schmaler steiniger Weg, der an einigen Steilstellen durch Erde und Sand aufgeschüttet ist. Neben uns geht es atemberaubend tief ins Tal und wir sind erleichtert, dass die aufgeschüttete Piste dem Gewicht unseres Autos gewachsen ist. In einer Spitzkehre müssen wir mehrfach zurückstoßen und fahren uns dabei im tiefen Geröll beinahe fest, so eng ist die Kurve. Kurz darauf erreichen wir den Endpunkt des Weges auf 4.380 Metern Meereshöhe, von wo wir einen kleinen Spaziergang am steilen Berghang unternehmen. Hier haben wir einen guten Blick nach oben zum Vulkan, der freilich noch weitere tausend Meter in die Höhe ragt und erst nach mehreren Stunden anstrengender Bergtour erreichbar wäre. Wegen der vielen Mineralien und Erze leuchten die Wände des Berges in kräftigen roten und gelben Farben.
Wir sind froh, den abenteuerlichen Weg wohlbehalten wieder nach unten ins Dorf geschafft zu haben, wo wir uns jetzt auf eine kleine Entdeckungstour zwischen den steinernen Gebäuden und Mauern machen. Jedes der Häuser liegt hinter einer etwa schulterhohen Mauer in einem rechteckigen, staubigen Hof, viele wirken so, als ob sie schon lange verlassen wären. Die Bauwerke bestehen aus lose zusammengefügten rohen Gesteinsbrocken, die an einigen Stellen schon wieder auseinanderfallen, viele der mit Stroh bedeckten Dächer sinken in sich zusammen. Vereinzelt sehen wir Lebenszeichen wie zum Trocknen aufgehängte Wäsche, oder auch einige Ziegen in den Höfen, offensichtlich ist das Dorf also bewohnt, nur dass der Standard eben nicht unserem von zuhause gewohnten entspricht.
Wir erfahren, dass keines dieser Häuser ans elektrische Stromnetz angeschlossen ist oder über sanitäre Einrichtungen verfügt. Zwischen zwei Mauern kommen eine alte Frau und ein struppiger Hund auf uns zu, beide sind äußerst misstrauisch, wahrscheinlich bekommen sie hier nicht sehr oft Besuch. Und erst recht keinen Besuch mit so großen Kameras vor dem Bauch. Eine kleine Kirche weckt unsere Neugier. Vorsichtig umrunden wir das Gebäude, finden aber kein einziges Fenster, durch das wir einen Blick ins Innere werfen könnten und die Eingangstür an der Stirnseite ist mit einem Vorhängeschloss gesichert. Am unteren Ende der Tür, die mehr einer alten Schiffsplanke ähnelt als dem Eingang zu einer Kirche, entdecke ich eine weggebrochene Ecke, durch die ich gerade noch meine Kamera schieben kann und auf gut Glück einige Fotos schieße.
Ein paar hundert Meter weiter finden wir eine weitere ganz ähnliche Kirche, bei der vergessen wurde, das Schloss anzubringen. Gespannt treten wir ein. An der gegenüber der Tür liegenden Wand sehen wir drei Nischen, in denen durch weiße Tücher verhängte Gegenstände stehen, die Miguel jetzt nacheinander abdeckt. Unter den Tüchern entdecken wir ziemlich kitschig anmutende Heiligenfiguren in bunten Gewändern, die ganz gut zur bunten Wandbemalung der Kirche und zum farbenfrohen Girlandenschmuck an der Decke passen.
Nicht weit von der kleinen Kirche besuchen wir ein lokales Museum, dort sammelt ein älterer Mann allerlei Krimskrams aus der Umgebung und zwar unabhängig davon, ob die Gegenstände aus Bolivien oder aus einem anderen Land stammen. Das Spektrum reicht von schönen Salzkristallen über Haushaltsgegenstände bis zu einigen Trachten an der Wand und jede Menge Tongefäße im Innenhof. Gegenüber legte der gleiche Betreiber einen sehr netten Garten an mit vielen Säulenkakteen und Steinen, die er zu allen möglichen Figuren geformt und zusammengebastelt hat.
Nachdem wir hier eine ganze Reihe Fotos gemacht haben, fahren wir hinaus auf den Salzsee und erreichen nach etwa dreißig Kilometern die Insel Incahuasi, die durch ihre vielen großen Säulenkakteen bekannt ist. Entsprechend viele Touristenfahrzeuge parken am Ufer der Insel. Ein schöner Rundweg führt schweißtreibend zwischen den bis zu zwanzig Meter hohen Kakteen bis zum Gipfel der Insel, von wo wir einen schönen Blick über die sich in alle Richtungen endlos weit erstreckende weiße Salzebene haben. Nach einer einstündigen Wanderung kommen wir zurück zur Ansammlung kleiner Gebäude in der Nähe des Ufers, in denen sich unter anderem ein winziges Museum befindet.
Hier wird in Figuren und Bildern ein Ritual dargestellt, bei dem durch das Blut eines jungen Lamas das Wohlwollen der Mutter Erde für die Anwohner gewonnen werden soll. Vor dem Restaurant gegenüber ist ein Tisch für uns gedeckt und wir bekommen ein leckeres Menü mit Suppe, Gemüse und Lama serviert. Während des Essens können wir eine alte Bolivianerin beobachten, die mit ihrem zahmen Lama zwischen den riesigen Kakteen spazieren geht. Anschließend gehen wir zu Fuß hinaus auf den Salzsee, was sich gleich ganz anders anfühlt, als vorher mit dem Auto.
Mit jedem Schritt wird die Unendlichkeit des weißen Nichts deutlicher spürbar und durch den tieferen Standpunkt außerhalb des Autos ergibt sich eine noch intensivere Perspektive. Ganz besonders bemerkenswert sind die unterschiedlichen Strukturen, die das Salz an der Oberfläche zeichnet, an manchen Stellen sehen wir endlose Knubbel, die mal größer und mal kleiner sind, ein anderes Mal zeichnet es sechseckige Muster bis zum Horizont. Bei der Weiterfahrt machen wir einen kurzen Halt am einzigen Hotel, das mitten auf dem Salzsee liegt. Das Hotel wirkt verlassen, außer einigen Passanten, die wie wir hier ihre Fotos schießen, scheint weit und breit kein Mensch zu sein.
Von hier aus sind es immer noch etliche Kilometer immer geradeaus über die weiße Ebene bis wir in Ufernähe bei der Ortschaft Colchani einige kleine Quellen entdecken, an denen frisches Wasser aus dem Salz sprudelt. Gleich nebenan sehen wir eine Vielzahl weißer Kegel, die sich beim Näherkommen als etwa einen Meter hohe Salzhaufen entpuppen. Arbeiter schaufeln hier das Salz zusammen, um es an der Luft zu trocknen, danach wird es mit Lastwagen in die Städte gebracht und zu Speisesalz weiterverarbeitet. Die strahlend weißen Kegel bilden einen phantastischen Kontrast zum tiefblauen Himmel und erzeugen zusammen mit den Spiegelungen in einzelnen größeren Wasserflächen schöne grafische Muster. Das Wasser, das wir hier sehen, ist ein Zeichen relativ dünner Salzschicht, manchmal sinken wir ein wenig ein, es ist auf jeden Fall besser, immer schön vorsichtig zu sein und auf festem Grund zu bleiben.
Am Ufer stehen einige größere Gebäude, eines davon ist noch im Bau, so wie es aussieht, kann es sein, dass es noch lange nicht fertiggestellt wird. Das andere ist unser heutiges Hotel, es besteht aus einem großen Rundbau mit zwei Etagen und mehreren davon ausgehenden einstöckigen Flügeln. Auch dieses Hotel ist vollständig aus Salz gebaut, in den Fluren und den Zimmern finden wir viele nett gestaltete Figuren ebenfalls aus Salz. Das sieht zwar sehr schön und hochwertig aus, aber dafür kommt gleich zu Beginn kein einziger Tropfen Wasser aus den Hähnen, das wäre eigentlich wichtiger gewesen. Der Angestellte an der Rezeption dreht schnell für uns das Wasser auf, informiert uns jedoch auch gleichzeitig, dass es in der Nacht wieder abgestellt werden muss, um ein Einfrieren der Leitungen zu verhindern, naja wir sind zum einen eben in Bolivien und zum anderen sind wir auch auf fast viertausend Metern Meereshöhe, da wird es bei Nacht schon mal kalt.
Bevor es soweit ist, machen wir noch einen Spaziergang zurück zum Salzwerk, wir wollen sehen, wie sich die Salzkegel bei untergehender Sonne verfärben. Und wir werden nicht enttäuscht, das Licht wechselt von zartem Orange erst zu einem intensiven Rot und geht dann in ein kräftiges Violett über, bevor die Szene in völliger Dunkelheit versinkt, die nur noch von einem blassen Vollmond schwach beleuchtet wird. Entsprechend schwierig ist der Rückweg, den wir uns mit Hilfe unseres GPS Geräts über die teilweise etwas matschige Ebene suchen müssen. Wieder einmal sind wir beim Abendessen fast alleine, allerdings wird angekündigt, dass um drei Uhr in der Nacht weitere dreißig Reisende aus Uyuni eintreffen sollen.
Donnerstag, 23. Mai 2013
Durch die in der Nacht angereisten neuen Gäste ist es beim Frühstück am nächsten Morgen entsprechend voll, doch es ist ausreichend da und der Service klappt so gut wie es in dieser abgelegenen Gegend erwartet werden kann. Bei der anschließenden Fahrt über sehr schlechte Pisten wundern wir uns über eine große Autobahnbaustelle, die uns kilometerweit begleitet. Hier wird für die geplante Rallye Dakar gebaut, die in 2014 für Bolivien geplant ist. Das Land erhofft sich einen großen Werbeeffekt und viele neue Touristen nach der Werbung durch die Großveranstaltung. Heute sieht das Ganze noch vergleichsweise unordentlich und wenig einladend aus, am meisten stört uns die allgegenwärtige Verschmutzung durch Plastiktüten. Riesige Flächen sind bedeckt von bunten Kunststofftaschen und anderen Folienresten, die erst durch den Wind hierher geweht wurden und sich irgendwann an den wenigen dornigen Büschen festsetzten, das sieht ein bisschen aus wie Baumschmuck, nur eben hässlich und nicht so wie wir den von unseren Weihnachtsbäumen gewohnt sind. Bei der Stadt Uyuni zeigt Miguel uns den neu erbauten Flughafen, der wie so vieles im Land noch nicht fertiggestellt wurde. Als der Präsident Evo Morales vor einigen Monaten eigens zur Eröffnung ankam, musste er unverrichteter Dinge wieder abreisen, da noch kein Stromanschluss am Flugplatz vorhanden war und so eine Inbetriebnahme nicht möglich war. Seither ist dort nichts Nennenswertes geschehen, vielleicht klappt es ja zur Rallye Dakar.
Wir durchqueren einen Randbezirk von Uyuni auf breiten Staubstraßen, die von ein- bis zweistöckigen unverputzten Flachdachgebäuden gesäumt sind. Dazwischen stehen vereinzelt Autowracks, ab und zu quert ein struppiger Hund die Straße. Am Stadtrand erreichen wir einen riesigen Eisenbahnfriedhof, auf dem eine Vielzahl alter Dampflokomotiven und Wagons seit Jahren einsam vor sich hin rosten. Angesichts des vielen Staubs und Drecks, der vom Wind durch die Luft gewirbelt wird, flieht Andrea gleich nach dem Aussteigen wieder zurück ins Auto, während ich mit Miguel eine Runde über den Schrottplatz drehe. Wir sehen alle mögliche Typen von Lokomotiven, ursprünglich auf den Strecken von den Erzminen zur Küste genutzt und seit vielen Jahren nicht mehr im Einsatz. Da der Platz nicht bewacht ist und auch nicht als offizielles Museum geführt wird, wurden von vielen der Fahrzeuge in der Vergangenheit Einzelteile abgetrennt und einer anderen Verwendung zugeführt, in naher Zukunft wird wohl nur noch ein Haufen wertloser Schrott hier in der Wüste liegen.
Bald darauf sind wir froh, Uyuni hinter uns gebracht zu haben. Die Stadt ist unglaublich dreckig und staubig, selbst der Markt oder die vereinzelt aufgestellten Lokomotiven und Skulpturen reichen nicht aus, diesen Ort auch nur ein bisschen freundlich erscheinen zu lassen. Uyuni ist eben ein reiner Versorgungsplatz für die Dörfer um den Salar und so sieht es dort dann auch aus. Gleich hinter den letzten Häusern der Stadt kommen wir an eine moderne Mautstelle, an der eine bestens geteerte Straße in Richtung Potosi beginnt. Wir gewinnen schnell an Höhe und verlassen die riesige Ebene, womit wir gleichzeitig den Müll mit den Millionen Plastiktüten hinter uns lassen. Die Strecke führt durch weites Bergland über mehrere Pässe und an einigen Bergbaustädten vorbei immer in Höhen zwischen 3.700 und 4.000 Metern zur ehemalig reichsten Stadt der Welt Potosi.
Hier herrschen absolut chaotische Verhältnisse. Waren bisher nur ganz vereinzelt andere Fahrzeuge auf den Straßen zu sehen, sind jetzt alle Straßen verstopft, es gilt das Recht des Stärkeren und Schnelleren, Rücksicht ist hier ein Fremdwort. Wir kämpfen uns mit lautem Hupen durch die teilweise sehr engen Gassen ins Stadtzentrum, wo auch unsere heutige Unterkunft, das Hotel Coloso liegt. Gleich nachdem wir unser großes und gut ausgestattetes Zimmer bezogen haben gehen wir zusammen mit Miguel durch die betriebsame Stadt zum Mittagessen in ein rustikales Restaurant. Dort gibt es als lokale Spezialität Kalapurca, eine leckere Gemüsesuppe, die mit einem glühend heißen Lavastein in der Tasse serviert wird. Der Stein wird natürlich nicht mitgegessen, ob er für den nächsten Gast weiterverwendet wird, wollen wir erst gar nicht wissen.
Nach dem Essen streifen wir ein wenig durch das Stadtzentrum, tauschen in einem Hinterhof etwas Geld, bisher hatten wir ja in Bolivien noch keine Gelegenheit dazu und gehen dann zur Moneda, der alten Münzprägeanstalt Potosis, die wir besichtigen wollen. Miguel organisiert die Eintrittskarten und übergibt uns an einen englischsprachigen Führer, der mit uns noch zwei weitere Gäste durch das Gebäude begleitet. Der erste Teil der Besichtigung führt durch große repräsentative Räume mit vielen Gemälden aus kolonialer und republikanischer Zeit, danach kommen wir in eine große Halle mit ausgestellten Münzen der örtlichen Fertigung. Nebenan sind die Säle, in denen die Münzen hergestellt wurden. An riesigen hölzernen Pressen, die durch Esel im Untergeschoss angetrieben wurden, wurden durch Sklaven erst die Metallstreifen auf die gewünschte Dicke gebracht und dann zu Münzen geprägt. Unten sind außerdem die Metallschmelzen zu finden, in denen über offenem Feuer Gold und Silber aus den Erzen geschmolzen wurde, wegen der giftigen Dämpfe und der Hitze unter unvorstellbaren Bedingungen für die hier eingesetzten Zwangsarbeiter. In weiteren Räumen sehen wir auch modernere Maschinen, die mit Hilfe von Dampfkraft oder Elektrizität die schweren Arbeiten wirtschaftlich übernommen hatten, nur schade, dass Bolivien heute trotz der immer noch reichlich vorhandenen Rohstoffe und der Erfahrung in der Münzherstellung seit 1952 alle Münzen in Chile und in Kanada herstellen lässt.
Wieder in den Gassen von Potosi biegt Miguel plötzlich mit uns ab und wir stehen in einem kleinen Hinterhof, in dem Wäsche zum Trocknen an einer Leine hängt, einige Gegenstände herumliegen und von dem eine kleine Tür in ein großes Gebäude führt. Unsicher und gespannt folgen wir ihm durch den Eingang und stehen plötzlich in der großen Kathedrale, die mehr einer Baustelle als einer Kirche gleicht. Alle Kirchenbänke sind weggeräumt, viele Bereiche sind durch große Planen abgedeckt und es stehen einige Gerüste an den Wänden, einzelne Nischen sind durch starke Halogenstrahler hell erleuchtet. Dazu spielt laute Popmusik aus einem Radio. Die Kathedrale wird seit sieben Jahren renoviert und soll bis zum Ende dieses Jahres fertiggestellt werden. Fasziniert beobachten wir Handwerker und Künstler bei ihrer Arbeit, für die sie teilweise sehr große Geduld benötigen. Insbesondere das Vergolden der Säulen mit Blattgold geht nur Zentimeter um Zentimeter vor sich und dauert Tage bis eine größere Fläche wieder in vollem Glanz erstrahlt. Von der Empore haben wir einen guten Überblick über die Baustelle, hier entdecken wir auch die große Orgel, die 1938 von der Firma Walcker im schwäbischen Ludwigsburg, unserer Heimat, hergestellt wurde, so klein ist die Welt.
Durch den Turm führt uns eine steile Wendeltreppe in totaler Dunkelheit nach oben zum Balkon mit Glockenwerk und schöner Aussicht über die Stadt und den Silberberg, der Potosi seinen legendären Reichtum bescherte. Wir unterhalten uns noch einige Zeit mit den Handwerkern und lassen uns ihre Technik und ihre Werkzeuge zeigen, sie sind stolz darauf mit Material aus deutscher Herstellung arbeiten zu können.Miguel bringt uns zurück zum Hotel und empfiehlt uns noch ein Restaurant in der Nähe, in dem wir später zu Abend essen können. In der Nacht hören wir noch lange laute Marschmusik von einem angrenzenden Platz, aber auch von weiter entfernten Stellen, es ist ein starker Kontrast zu der Ruhe des einsamen Landes in den vergangenen Tagen.
Freitag, 24. Mai 2013
Gleich nach dem Frühstück fahren wir kreuz und quer durch die engen und steilen Gassen Potosis in Richtung zum Silberberg, wo wir heute eine der Minen besichtigen wollen. Im oberen Stadtteil treffen wir unsere Führerin, die uns zunächst in einen kleinen Schuppen führt, wo wir unsere Schutzbekleidung bekommen. In den blauen Anzügen, hohen Gummistiefeln und mit unseren Helmen sehen wir gleich aus, wie richtige Bergarbeiter, nur viel, viel lustiger. Mit dem Auto fahren wir das letzte Stück zur Mine, dort bekommen wir noch Grubenlampen an die Helme geklipst und schwere Akkus an die Gürtel gehängt, schon außerhalb der Mine ist das Bewegen mit den großen Stiefeln und dem Gewicht nicht mehr einfach.
Nach einigen Metern erreichen wir ein Loch im Berg, in dem das Gleis einer Grubenbahn verschwindet. Unsere Führerin erklärt uns, dass wir immer zwischen den Schienen der Bahn gehen sollten, wenn wir aber eine Lore kommen hören, sollten wir nach links oder rechts ausweichen, klingt ja eigentlich sinnvoll. Im Berg wird es dann schnell recht unangenehm, wir waten in tiefem Wasser, können nicht sehen wo wir hin treten, müssen meist gebückt gehen, da wir uns sonst immer wieder den Helm an die sehr niedrige Decke anschlagen und sind ständig auf der Suche nach möglichen Ausweichstellen, falls tatsächlich mal eine Bahn käme. Es ist nämlich so eng hier, dass es dazu kaum eine Gelegenheit gäbe. Nach etwa fünfzig Metern kommen wir an einen Abzweig, an dem rechts ein weiterer Stollen in der Dunkelheit verschwindet.
Hier wohnt Tiu, der Minengeist, der die Arbeiter der Mine vor Unheil schützt, wenn sie ihm regelmäßig ihre Opfergaben bringen. Auch wir geben der lebensgroßen Tonfigur eine rituelle Spende bestehend aus Kokablättern, Alkohol, der über Kopf, Augen, Hände, Knie, Penis und Füße verteilt wird und zu guter Letzt eine angezündete Zigarette in den Mund, in dem noch die abgebrannten Reste der Vorgänger stecken. Jetzt, unter dem Schutz von Tiu, können wir weiter in den Schacht eindringen. Einmal kommt uns ein Trupp Arbeiter mit einer großen Strebe entgegen, sonst sehen wir keinen Menschen und zu unserem Glück auch keine Lore auf den Gleisen. Ab und zu sehen wir ein tiefes Loch im Boden und können einen Blick in den darunter liegenden Schacht werfen, ansonsten gibt es nur rohes, brüchiges Gestein, hin und wieder einige Streben und Stützen. Immerhin ist im Inneren der Boden trocken, was aber nicht bedeutet, dass wir weniger stolpern.
Nach längerer Wegstrecke kehren wir um und gehen auf dem selben Weg wieder nach draußen, wir wissen nun sicher, dass wir in einem solchen Berg nicht arbeiten wollen, der Ausflug gab uns aber einen ganz guten Eindruck von den Verhältnissen unter Tage. Nachdem wir unsere Schutzkleidung wieder abgelegt haben suchen und finden wir den Weg durch Potosi in Richtung Sucre, unserem heutigen Tagesziel. Am Ortsausgang von Potosi zeigt Miguel zu einer großen Fabrik für Zinn- und Bleiverarbeitung, die nach ihrer Fertigstellung vor einigen Jahren nie in Betrieb gegangen ist, in Bolivien scheint es nicht so einfach zu sein, einmal gefasste Pläne auch wirklich in die Tat umzusetzen.
Die Fahrt nach Sucre verläuft auf gut geteerten Straßen durch das bolivianische Bergland und wird nur durch ein paar kurze Stopps unterbrochen. In Sucre beziehen wir unser schönes Zimmer im Hostal de su Merced, einem kolonialen Gebäude mit bepflanztem Innenhof und mehreren Dachterrassen.
Nach einem leckeren Mittagessen führt uns Miguel, der aus Sucre stammt, stolz durch seine Heimatstadt. Als erstes besuchen wir ein sehr altes Franziskanerkloster oberhalb der Innenstadt, das auch heute noch betrieben wird. Uns gefallen ganz besonders die schönen Innenhöfe mit ihren Blumen und Orangenbäumen und den rundum führenden Säulengängen sowie der große Zitrusgarten im hinteren Bereich, in dem eine tausend Jahre alte Zeder steht. Vom Platz vor der Klosterkirche haben wir einen schönen Blick über die Stadt, die wesentlich aufgeräumter und europäischer wirkt als Potosi, von wo wir gerade gekommen sind.
Unser Guide wundert sich, dass unsere Tourplanung nur einen einzigen Tag in Sucre zulässt, immerhin ist Sucre die offizielle Hauptstadt Boliviens und er als Einheimischer hätte uns sicher noch viel mehr zeigen können. Wir wandern ein wenig durch die sehr gepflegten und auch angenehm belebten Parks, sehen den bolivianischen Gerichtshof und die aufwendig beflaggten Gebäude der Stadt- und Provinzverwaltung und erhalten zum Schluss auch noch Eintritt in ein ehemaliges Nonnenkloster, von dessen Dach und Turm wir einen guten Blick über die Dächer der Kolonialstadt haben.
Samstag, 25. Mai 2013
Als wir am Vormittag am Flughafen von Sucre für unseren Weiterflug ankommen, landet dort gerade der bolivianische Präsident Evo Morales, weswegen wir einige Minuten länger im Terminal warten müssen, bis wir aufs Vorfeld und zu unserem Flugzeug dürfen. Wir sind positiv überrascht, dass wir hier einen gut gewarteten Airbus A318 vorfinden, bei einer südamerikanischen lokalen Fluggesellschaft hätten wir eher ein älteres Modell mit Propellern erwartet. Der kurze Flug bringt uns reibungslos nach El Alto, dem Flughafen von La Paz, wo wir von unserer nächsten Reiseleitung Martha empfangen werden. Sie informiert uns als erstes, dass wir heute ein Problem hätten, unser Hotel zu erreichen, weil in dem betroffenen Stadtteil von La Paz gerade ein Umzug stattfindet, der auch noch mindestens bis Mitternacht andauern wird. Optimistisch, dass sich das Problem wohl irgendwie lösen lassen wird, fahren wir los und stecken schon nach kurzer Fahrstrecke in einem massiven Stau fest.
Weiter vorne erkennen wir eine Straßensperre durch die Polizei, sehen aber auch, dass immer wieder Fahrzeuge durchgelassen werden, oder vielleicht auch einfach nur durchfahren. Unser Fahrer steigt aus und redet kurz mit einer der Polizistinnen, danach kämpfen wir uns laut hupend durch den Gegenverkehr und folgen einer Straße, die links abbiegt. Nun geht es im Zickzack durch ein großes Viertel, in dem die Straßen von mehrstöckigen roten Backsteinbauten gesäumt sind, bis wir durch eine enge Gasse in eine Art Autobahn einmünden. Auf dieser Autobahn, die in Serpentinen ins tiefer liegende La Paz führt, ist erstaunlich wenig Verkehr. Erst am Stadteingang nähern wir uns wieder einem Stau, biegen aber sofort ab und bahnen uns den Weg durch ein paar Seitenstraßen. Einmal werden wir von der Polizei angehalten, werden aber mit dem Hinweis, dass wir zu einem der Hotels in der Innenstadt fahren wollen, ohne weitere Fragen durchgelassen. Bald erreichen wir einen großen Markt, durch den wir mit dem Auto nicht mehr weiterfahren können. Schnell ist irgendein Träger organisiert, der gegen einige Bolivares unsere Taschen auf seine Sackkarre lädt und damit losstürmt. Wir haben alle Mühe unserem Gepäck durch die Menschenmassen und zwischen den Marktständen zu folgen, immer wieder rempeln wir jemanden an, immer wieder werden wir fast getrennt, doch irgendwie gelingt es uns, den Kontakt zu halten. Schließlich erreichen wir die Strecke des Umzugs, wo sich Trachtengruppen unter lauter Kapellenmusik in endloser Kolonne drängen. Hier wird es sogar zu eng für den Gepäckwagen, so dass unser Träger nun unsere Reisetaschen auf die Schultern nehmen muss und sich mit uns im Schlepptau entgegen der Festzugsrichtung durch die Massen quetscht. Nach wenigen Metern können wir durch eine Lücke in der provisorisch aufgebauten Holztribüne in die Lobby unseres Hotels entkommen, geschafft.
Bei der Anmeldung werden wir gefragt, ob wir ein Zimmer zur Straße, also zum Umzug, oder eines nach hinten haben wollen. Wir denken, wenn wir schon mal hier sind und den Umzug erleben können, dann wollen wir auch etwas davon haben und wählen das Zimmer nach vorne. Das liegt dann im zweiten Obergeschoss und bietet durch einen wirren Kabelverhau einen recht guten Blick hinab zur Straße und auf die bunt gekleideten Gruppen. Allerdings ist die Musik auch extrem laut zu hören, ein intensives Erlebnis ist also garantiert. Noch lauter ist es im Restaurant eine Etage tiefer, von wo wir einen besseren Blick auf die Gruppen haben und wo wir einen großen Teil des Nachmittags verbringen. Bei dem Gedränge draußen möchten wir heute nicht mehr auf die Straße, wer weiß, wo uns die Masse hin gespült hätte. Später liegen wir im Bett und schauen im Fernsehen das Champions League Endspiel zwischen Dortmund und Bayern München an, das auch in Bolivien ein ganz großes Sportereignis ist. In der Nacht gehen der Umzug und die laute Musik pausenlos weiter, bis gegen eine Stunde nach Mitternacht so langsam Ruhe einkehrt.
Sonntag, 26. Mai 2013
Beim Aufwachen am Sonntagmorgen ist es ruhig, die Tribünen vor dem Hotel sind schon weitgehend abgebaut. Während unserer Stadtrundfahrt am Vormittag besuchen wir die älteren Teile von La Paz mit ihren engen Gassen und netten Kolonialbauten. Wir kommen an den Plaza Murillo, der nach dem 1810 hier hingerichteten Unabhängigkeitskämpfer Pedro Domingo Murillo benannt ist. Hier befinden sich der Präsidentenpalast Boliviens und eine nach Jahrhunderten langer Bauzeit erst 1988 fertiggestellte Kathedrale. Im Laufe der Jahre war die Plaza Murillo Schauplatz vieler Hinrichtungen, was auch damit zusammenhängt, dass Bolivien durchschnittlich fast jedes Jahr einen gewaltvollen Machtwechsel erlebte. Erst seit der Machtergreifung durch Evo Morales 2005 scheinen sich einigermaßen stabile Verhältnisse einzustellen. Als bleibende Zeichen der vergangenen Unruhen sehen wir an vielen Gebäuden Einschusslöcher im Putz, die auf Anweisung von Evo Morales nicht ausgebessert werden dürfen und heute als Mahnung für die Bevölkerung dienen sollen.
Vom nahe gelegenen Aussichtspunkt Killikilli können wir gut er-kennen, wie sich La Paz tief aus dem Canyon mit einer Höhe von 3.200 Metern bis hoch nach El Alto auf 4.200 Metern erstreckt. Die steilen Hänge sind überwiegend mit roten Backsteinbauten bedeckt, so dass sich ein ganz charakteristisches Mosaik ergibt. Anders als bei uns sind die höheren Lagen den ärmeren Schichten der Bevölkerung zugeordnet, während die reicheren Bewohner in den milden und gut geschützten Tälern des Canyon angesiedelt sind.
Über allem thront der schneebedeckte, mit 6.439 Metern zweithöchste Gipfel Boliviens, der Illimani. Von Killikilli führt unser Weg ins Tal, wo wir am eigenen Körper spüren, wie es immer milder wird, je tiefer wir kommen. An der Talsohle hat sich durch Erosion eine schroffe Felslandschaft gebildet, die wir bei einem Rundweg durch das Valle de la Luna hautnah erleben. Martha, unsere Reiseleiterin, möchte eigentlich nur einen kleinen Spaziergang zwischen den Felsen machen, doch wir bestehen auf die große Runde, die dann doch zu einem recht schweißtreibenden Erlebnis wird. Die Wege sind sehr eng und steil und bieten wegen des losen Gerölls oftmals nur schlechten Halt, aber das ist es ja gerade, was wir gerne haben.
Zurück mit dem Auto zur Iglesia de San Francisco, die im Zentrum der Stadt nicht weit von unserem Hotel liegt. In der Kirche wird gerade ein Gottesdienst gehalten, an dem überwiegend Arme und Bettler teilnehmen, was sich unter anderem durch einen strengen Geruch bemerkbar macht. Vom Platz vor der Basilika, auf dem viel Betrieb herrscht und wo sich gerade eine Gruppe von Demonstranten zusammenfindet, geht es durch eine steile Gasse zum berühmten Hexenmarkt von La Paz. Hier gibt es neben allen möglichen Haushaltsgegenständen und Kräutern vor allem spezielle Ingredienzien mit denen den Wünschen der Kunden auf die Sprünge geholfen werden kann.
Diese reichen von Tropfen für Liebe, Gesundheit und Potenz, über Schlangenfleisch und Dynamit bis hin zu den besonders beliebten Lamaföten, die vor dem Bau eines Hauses in die Erde eingegraben werden müssen, um die Geister gnädig zu stimmen. Zwischen den Ständen mit Zaubereibedarf gibt es für Touristen auch solche mit Schnitzereien und vor allem mit Textilien, die hier oft aus Lama- oder Alpakawolle hergestellt werden. Einige Straßen weiter geht der Hexenmarkt in einen normalen Markt über, der billige Kleidung, Elektroartikel, Obst, Gemüse und auch Fisch und Fleisch anbietet. Interessant sind die vielen verschiedenen Sorten Kartoffeln, von denen es in den Anden mehrere tausend gibt, und die große Menge an bunten Gewürzen, weniger einladend wirken frische Fische, die hier in der Sonne liegend einen eher traurigen Eindruck machen und so kaum zum Kauf einladen können. Wir möchten einmal mehr nicht darüber nachdenken, wo wohl der Koch unseres Hotels seine Einkäufe tätigt.
Am Nachmittag machen wir einen weiteren Spaziergang durch diese Märkte, bei dem wir in einem der Stände einen Pullover aus Baby Alpakawolle für umgerechnet fünfundfünfzig US Dollar erstehen. Irgendwann werden wir ein Gefühl dafür bekommen, ob das auch wirklich ein Schnäppchen war, oder ob das Teil sich viel zu früh von selbst auflöst.
Montag, 27. Mai 2013
Wir werden schon um sieben Uhr am nächsten Morgen wieder im Hotel von La Paz abgeholt und fahren im einsetzenden Berufsverkehr hoch nach El Alto und durch diese ausgedehnte Stadt hinaus in die Hochebene. Gegen neun erreichen wir die kleine Ortschaft Huatajata am Titicacasee mit dem Andean Roots Complex, einem kleinen Museum, in dem recht anschaulich die Geschichte der Inka dargestellt ist. Fast noch interessanter ist das angrenzende Gelände der Brüder Limachi, die hier eine Werft für Boote aus Papyrus betreiben, von denen die bekanntesten die Forschungsboote des Norwegers Thor Heyerdahl, die Ra II und die Tigris sind. Am Ufer des Sees steht ein verkleinerter Nachbau der Ra II, mit der es dem Wissenschaftler 1970 gelang, den Atlantik von Marokko bis nach Barbados zu überqueren. Außerdem gibt es einige kleine Rundhütten mit verschiedenen Alltagsgegenständen und mit rituellen Artikeln der Ureinwohner, sowie drei Lamas für all jene, die während ihrer Reise bisher noch keine zu Gesicht bekommen hatten.
Von Huatajata geht es immer in der Nähe des Ufers am See entlang bis wir im Städtchen San Pedro den Titicacasee an seiner engsten Stelle überqueren wollen. Der See ist hier nur etwa einen Kilometer breit, es gibt seit längerem Pläne, an dieser Stelle eine Brücke zu bauen, wogegen die ansässigen Fährleute regelmäßig mit unangekündigten Streiks protestieren. Schließlich würde ihnen durch solch eine Brücke ihre Lebensgrundlage entzogen. Lustigerweise müssen wir uns gleich auf zwei Fähren aufteilen, während das Auto mit dem Fahrer auf einer einfachen Lastfähre übergesetzt wird, wird von den Passagieren erwartet, dass sie gegen eine extra Gebühr ein kleines Personenschiff benutzen, auch so kann man sich seine Verdienstmöglichkeiten optimieren. Angesichts des Fährpreises von nur etwa zwanzig Cent ist das für uns jedoch kein Problem.
Am anderen Ufer geht es noch einmal über einen Pass mit 4.260 Metern Höhe bis wir nach einer steilen Abfahrt bei Copacabana wieder auf den Titicacasee stoßen. Nach einem kurzen Rundgang durch das Städtchen mit Besuch einer schönen Kirche und eines ganz normalen Marktes fahren wir zum Hafen, von wo uns ein Tragflächenboot hinaus auf den Titicacasee und zur Sonneninsel bringen soll. Wir sind fast die einzigen Gäste, die mit hoher Geschwindigkeit über den See gesetzt werden, leider können wir wegen der starken Gischt kaum nach draußen. An einem einsamen Steg legen wir an der Sonneninsel an und wandern von hier auf einem steilen Bergpfad nach oben. Schon bald wartet eine Einheimische mit einem Lama, das sie uns zur Gepäckbeförderung anbietet. Da wir nur unser Tagesgepäck bei uns haben, lehnen wir ab, die großen Taschen sind auf dem Boot geblieben und werden direkt zu unserem Quartier gebracht.
Auf halber Höhe treffen wir auf die Ruine eines ehemaligen Inka Palastes, von hier haben wir einen schönen Blick auf den Titicacasee und die schneebedeckten Andengipfel in der Ferne. Weiter steigend zieht sich der Pfad am Hang entlang und erreicht nach einer Stunde Gehzeit ein kleines Bergdorf, in dem auch unsere heutige Unterkunft liegt. Die Ecolodge Posada del Inca ist eine von einer hohen Steinmauer umgebene Anlage aus rustikalen Gebäuden und verschiedenen gut geschützten und wunderschön bepflanzten Gärten, wo wir gleich nach unserer Ankunft mit einer Tasse feinen Cocatees begrüßt werden.
Den Nachmittag genießen wir auf weichen Liegen im Garten und holen uns dabei fast einen Sonnenbrand, auf einer Höhe von viertausend Metern scheint die Sonne eben doch sehr intensiv. Rechtzeitig vor dem Sonnenuntergang machen wir eine kleine Wanderung zum höchsten Punkt der Insel, von wo wir eine großartige Aussicht über den Titicacasee haben. Anfänglich kommen wir noch an vielen Unterkünften vorbei, die zu einem großen Teil auf Rucksacktouristen eingestellt sind, die sich hier dem Ursprung der Inkakultur nähern wollen. Die letzten Meter des Pfades führen durch felsiges Gestein und einiges Gestrüpp zum Gipfel, der durch die Ruine eines nicht fertiggestellten Restaurants verziert ist. Wie so oft in Bolivien, ist auch hier eine gute Idee nicht vollständig in die Tat umgesetzt worden und die Reste davon verschandeln nun die Landschaft. Vielleicht gibt es irgendwann einmal jemand, der aus dem angefangenen Gebäude noch etwas Sinnvolles macht. Wir und einige wenige andere Touristen nutzen die betonierte Terrasse und die halbhohen Mauern als windgeschützten Aussichtspunkt, von dem wir beobachten wie die Sonne im Titicacasee versinkt.
Kurz darauf wird es dunkel, so dass wir am Ende froh sind, unsere Stirnlampen mitgenommen zu haben. Der steinige Weg wäre sonst nicht immer einfach zu erkennen gewesen. Zurück in der Lodge sind wir auch heute wieder die einzigen Gäste, die sich im Restaurant zum Abendessen treffen, man spürt ganz deutlich die wirtschaftliche Krise in Europa, die zum Ausbleiben vieler Touristen führt.
Dienstag, 28. Mai 2013
Am Vormittag machen wir einen kleinen Spaziergang auf der Höhe und sehen dabei viele Esel und Lamas, die von ihren Besitzern meist als Lasttiere eingesetzt werden. Oft sind die Tiere mit einem Strick an einem Busch angebunden und haben damit einen klar begrenzten Bereich, in dem sie für heute ihr Futter suchen können. Einige Einheimische ziehen bepackt von Dorf zu Dorf während die Morgensonne so langsam die Kälte der Nacht vertreibt.
Nach unserer Rückkehr zur Lodge steigen wir über die sogenannte Inkatreppe steil hinab zum Titicacasee. Kurz oberhalb des Sees biegen wir vom Weg ab und kommen auf eine schön angelegte Terrasse, auf der vorne am Geländer ein gedeckter Tisch für das Mittagessen auf uns wartet. Während des Essens ziehen unten einige Schiffe vorbei, darunter auch die typischen Papyrusboote des Titicacasees, hier lässt sich wirklich das Leben stressfrei genießen, noch wissen wir ja nicht, was der Tag noch bringen wird. Das gleiche Tragflächenboot, mit dem wir gestern zur Sonneninsel gekommen waren, bringt uns am Nachmittag zur nebenan liegenden Mondinsel, auf der wir die Ruinen eines Palastes der Auserwählten Jungfrauen besichtigen können. Später hatten die Spanier auf der Insel ein Gefängnis eingerichtet, von dem es heißt, dass an jedem Wochenende eine Mannschaft der Gefangenen gegen die Wärter im Fußball angetreten sei und dass die jeweils unterlegene Mannschaft dem Siegerteam Getränke spendieren musste. Eines Tages verloren die Gefangenen absichtlich und füllten die Wärter dermaßen mit Alkohol ab, dass sie in der darauf folgenden Nacht ohne bemerkt zu werden fliehen konnten.
Als wir Copacabana erreichen, wartet auf uns schon der Kleinbus, der uns zur peruanischen Grenze bringen soll. Im Hafen sind die Soldaten der bolivianischen Marine damit beschäftigt mit großen Wasserflaschen das Gras und die Blumen zu gießen, sicher eine sinnvolle und Frieden stiftende Tätigkeit. Während der Fahrt erzählt Martha dem Busfahrer, dass wir bei der Einreise nach Bolivien keine grünen Karten erhalten hätten, die normalerweise unsere Erlaubnis zum Aufenthalt im Land nachweisen sollen. Der Fahrer ist deswegen sehr nervös und überzeugt davon, dass wir ohne die grünen Karten nicht ausreisen dürfen. Er versucht über die Agentur weitere Auskunft zu erhalten, wie wir am besten vorgehen sollen, erreicht dort aber niemanden. Nun sind wir auch verunsichert und nähern uns mit ungutem Gefühl der Grenze, eigentlich haben wir keine Lust, die Zeit bis zur Klärung in einem bolivianischen Gefängnis zu verbringen. An der Grenze gehen wir zu viert ins Büro des Grenzbeamten, wo der Fahrer sofort aufgeregt unser Problem erläutert. Der Beamte kuckt gelangweilt von seinem Schreibtisch auf und meint, dann müssen wir die Formulare eben jetzt ausfüllen, danach könnten wir ohne weiteres ausreisen, so einfach kann das sein.