Mit dem Vagabund durch das Baltikum - Inhalt |
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Am Freitag führt uns die Strecke durch eine tolle Landschaft mit vielen Seen und weiten Wäldern immer weiter nach Osten, bis wir um die Mittagszeit die Grenze nach Litauen überqueren. Da beide Länder zur EU gehören, bemerkt man die Grenze fast nicht, allerdings müssen wir nun unsere Uhren vorstellen, weil Litauen, wie auch die anderen baltischen Staaten, in einer anderen Zeitzone liegt. Nach etwa fünfzig weiteren Kilometern erreichen wir Druskininkai, eine kleine Kurstadt an der Memel in der Nähe der Grenze zu Weißrussland. Hier stehen wir auf einem sehr gepflegten Campingplatz mit großzügigen Parzellen und allen für uns wichtigen Einrichtungen. Nach der langen Fahrt ist für uns das nebenan liegende Restaurant besonders wichtig und wir vertilgen große Portionen Schaschlik mit Gemüse, um wieder zu Kräften zu kommen. Im Laufe des Samstag zieht eine Kaltfront über Litauen und sorgt für eine Abkühlung auf weniger als zwanzig Grad, das fühlt sich nach den vergangenen sehr warmen Tagen fast schon ungemütlich an. Vormittags geht es noch und wir erkunden Druskininkai bei milden Temperaturen zu Fuß. Das Städtchen hat für seine Größe erstaunlich viel zu bieten und überrascht mit schönen Parkanlagen, Seen und Brunnen. Nach der katholischen Kirche besichtigen wir auch die hübsche blaue orthodoxe Kirche der Gottesmutterikone „Freude für alle Bekümmerten“, aus der wir nach kurzer Zeit hinausgeworfen werden. Eine resolute Dame schiebt uns nach draußen, vielleicht weil wir fotografiert haben, so genau wissen wir das nicht. Ein anderer, einheimischer Besucher wird ebenso nachdrücklich aus der Kirche gebeten, ohne dass er sich für uns erkennbar etwas zu Schulden kommen ließ.
Anschließend fahren wir mit der Seilbahn vom Zentrum der Stadt zur Snow Arena, einer riesigen Skihalle auf der anderen Seite der Memel. Dort wird tatsächlich auf mehreren Pisten Ski gefahren, im Winter gibt es sogar von ganz oben eine große Außenpiste. Zurück in Druskininkai, flüchten wir vor einem Regenschauer in ein Restaurant in der Fußgängerzone, in dem wir zum ersten Mal hausgemachtes Brennesseleis bekommen. Das schmeckt zwar nicht nach Brennnessel, ist aber sehr lecker und hat durch die frischen Blätter eine wunderschöne und intensive grüne Farbe. Der Wirt erzählt, dass es in Litauen häufig sehr ausgefallene Eissorten gibt, wir sind schon gespannt, welche Leckereien wir im Land noch entdecken werden.
Eigentlich wollen wir am Sonntag mit dem Ausflugsschiff auf der Memel zu einem nahegelegenen Kloster fahren, doch leider hat der Kapitän des Dampfers heute keine Lust und behauptet stattdessen, dass der Fluss zu wenig Wasser hätte und dass er deswegen nicht fahren könne. Gestern ging es noch problemlos, das haben wir gesehen. Als Alternative wandern wir zum lokalen Waldmuseum, das einige nette geschnitzte Skulpturen und so manches Informatives zur Geschichte der Forstwirtschaft und zum Leben im Wald zeigt.
Am Montagvormittag verlassen wir Druskininkai nicht, ohne vorher unsere Vorräte aufzufüllen. Je nachdem, wo es uns gefällt, kann es sein, dass wir nicht gleich wieder einkaufen können und so ein paar Tage von dem leben müssen, was wir dabei haben. Als erstes fahren wir zum nicht weit entfernten Grutas Park, in dem Skulpturen aus der sowjetischen Besatzungszeit ausgestellt sind. In einem weitläufigen Kiefernwald sind hier die Statuen von Marx, Engels, Lenin, Stalin und vielen weiteren zu sehen, die nach dem Ende der sowjetischen Besatzung von ihren ursprünglichen Standorten in den Städten Litauens entfernt wurden. Sie wirken in dieser friedlichen Umgebung gewollt deplatziert und regen so zum Nachdenken an.
Von hier geht es weiter bis nach Marcinkonys im Herzen des Dzukija Nationalparks. Das Informationszentrum des Parks ist zwar montags geschlossen, doch finden wir zum Glück ausgeschilderte Wanderwege, von denen wir uns den kürzeren Girinio takas trail über knapp fünf Kilometer aussuchen. Der Pfad führt durch ursprünglichen Hochwald, meist entlang von dicht bewachsenen Sanddünen, die aus der letzten Eiszeit übrig geblieben sind. An einem mystischen See verlieren wir zweimal die Beschilderung und müssen sehr sorgfältig suchen, bis wir die nächsten Markierungen finden. Es wäre schon ziemlich einfach, sich in diesem endlosen Wald zu verlaufen.
Am Parkplatz in Marcinkonys könnten wir zwar für eine Nacht stehen bleiben, das ist aber nicht besonders attraktiv, so dass wir gleich zum Stellplatz in Varena weiterfahren, wo wir zwei geruhsame Tage verbringen. Der Platz erweist sich als wahres Paradies, ist äußerst liebevoll und kreativ gestaltet und liegt nur wenige Meter oberhalb des Flusses Merkys, an dessen Ufer verschiedene Bänke und Hängematten zum Verweilen einladen. Sogar eine kleine Saunahütte und ein Whirlpool unter den Bäumen sind vorhanden, werden aber bei den aktuellen sommerlichen Temperaturen nicht genutzt.
In Vilnius stellen wir den Vagabund in das als Campingplatz bezeichnete City Camp am Stadtrand. Das ist allerdings nicht mehr als ein abgesperrter großer Parkplatz mit einigen sauberen und funktionalen Containern für die sanitären Einrichtungen. Für uns ist das perfekt, wir stehen sicher, einigermaßen ruhig und haben genügend Platz. Wir fragen die Besatzung eines italienischen Wohnmobils, wie wir von hier am besten in die Innenstadt kommen und bekommen den Tipp, die BOLT App zu installieren und darüber einen Fahrdienst zu buchen. Es gibt zwar auch eine Busverbindung, die nächste Haltestelle ist aber fünfzehn Minuten entfernt und wir werden in der Stadt bestimmt auch so schon genügend Kilometer zu gehen haben, da erscheint uns der Fahrdienst als die bessere Alternative. Die App ist schnell heruntergeladen und sofort betriebsbereit. Das bestellte Auto kommt kurzfristig zum Stellplatz und bringt uns in etwa zwanzig Minuten bis zum Rathaus in der Mitte der Stadt. Von hier aus erkunden wir die Altstadt mit ihren interessanten Gassen und historischen Gebäuden. Wir brauchen eine Weile, bis wir den Weg zum Gediminas Turm finden, der sich als einziges Überbleibsel der Oberen Burg zum Wahrzeichen von Vilnius entwickelt hat. Von oben sehen wir weit über die Stadt mit ihren unzähligen Kirchen verschiedener Konfessionen. Während unseres weiteren Weges durch die Altstadt kommen wir auch in die Republik Užupis, die sich am 1. April 1997 unabhängig erklärte und deren Verfassung an einer Mauer in vielen Sprachen aushängt. Unter anderem besagt einer der 38 Artikel: “Jeder Mensch hat das Recht, sich zu irren”, ein anderer: “Jeder Mensch hat das Recht, nichts zu verstehen”.
Vom Stadtteil Užupis ist es nicht mehr weit zum sogenannten Gotischen Ensemble, das aus der St. Anna Kirche und der Bernhardinerkirche des Heiligen Franz von Assisi besteht. Das Gotische Ensemble zählt heute zu den berühmtesten Ansichten von Vilnius. Nach unserer langen Wanderung durch die Stadt werden inzwischen die Füße müde und wir lassen uns von hier bequem wieder zurück zum Stellplatz bringen.
Am Donnerstag wundern wir uns zu Beginn sehr, dass der geografische Mittelpunkt Europas nur wenige Kilometer nördlich von Vilnius liegen soll. Gefühlt befinden wir uns doch eher am östlichen Rand des Kontinents, aber die europäischen Gebiete Russlands, die bis zum Ural reichen, ziehen den Mittelpunkt eben deutlich nach Osten. Aus Vilnius fahren wir zu dem Denkmal, das sich am Rand eines Golfplatzes befindet. Neben einer Säule an der Position des Mittelpunktes wehen die Flaggen aller europäischen Länder. Dazu gibt es ein kleines Informationszentrum, in dem man sich seinen Besuch bescheinigen lassen kann, das öffnet allerdings erst später, sodass wir darauf verzichten.
Lieber fahren wir weiter zu unserem nächsten Ziel in Kernavė, das wir uns vor allem wegen der Beschreibung des Wohnmobilstellplatzes ausgesucht haben. Der befindet sich nämlich in einer ehemaligen Kolchose und ist mit vielen kuriosen Überbleibseln aus der sowjetischen Besatzungszeit ausgestattet. Als wir ankommen, ist niemand zu finden, doch glücklicherweise hilft uns ein Mitarbeiter der angrenzenden Tierfutterfabrik und kontaktiert für uns den Besitzer. Er meint, wir sollten uns irgendwo hinstellen, er würde uns später einen schönen Platz geben und uns alles zeigen. Nach seiner Ankunft führt uns Patrick durch die ganze Anlage und erklärt auch einiges zum Hintergrund. Er hat die Kolchose vor einigen Jahren gekauft und versucht seitdem mit viel Einsatz, den ursprünglichen Stil so gut wie möglich für seine Gäste zu bewahren und weiter auszubauen. Wie überall in Europa, so hat auch Patrick in Litauen dabei mit dem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften zu kämpfen, das hätten wir so nicht erwartet. Patrick informiert uns auch, dass am Wochenende ein Gothic Konzert in der Anlage stattfinden wird und dass in den nächsten Tagen die Aufbauarbeiten dafür laufen werden, da fahren wir doch lieber morgen weiter, um nicht gestört zu werden. Am Abend lädt uns Patrick ein zu selbstgebrautem Bier aus dem Dorf und zu traditionell eingelegtem Hering mit Schwarzbrot, so freundlich wurden wir bisher selten empfangen.
Patrick legt uns auch einen Besuch der historischen Anlagen von Kernavė ans Herz, die immerhin seit 2004 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Kernavė gilt als die älteste bekannte Hauptstadt Litauens und bestand im 13. Jahrhundert aus fünf Wehrburgen, die auf sogenannten natürlichen Schüttbergen errichtet worden sind. Am Freitag wandern wir nach dem Frühstück durch den kleinen Ort und besichtigen die wirklich sehr malerischen Hügel, auf denen heute keinerlei Reste der früheren Burgen mehr zu erkennen sind. Dafür bekommen wir an einigen Informationstafeln einen ganz guten Eindruck davon, wie das Ganze damals ausgesehen haben muss. Sehr beeindruckend ist ein rekonstruiertes Dorf mit vielen Holzhütten, in denen die verschiedenen Berufe und das Leben damals für uns gut nachvollziehbar sind.
Anschließend fahren wir von Kernavė nur etwa 35 Kilometer bis nach Trakai, wo wir in einem hübschen privaten Garten nicht weit vom Galvesee bequem stehen. Nach dem Besuch in einem Restaurant, vielleicht ein bisschen zu sehr auf Touristen eingestellt, marschieren wir entlang des Ufers bis zur Wasserburg, die wie im Bilderbuch auf einer vorgelagerten grünen Insel liegt. Wir umrunden die Burg, wandern anschließend durch die malerische Stadt Trakai mit ihren bunten Holzhäusern, die im 14. Jahrhundert sieben Jahre lang die Hauptstadt von Litauen gewesen ist, und genehmigen uns am Nachmittag einen Drink direkt am Ufer mit tollem Blick auf die Burg. Pünktlich zum Sonnenuntergang ziehen insgesamt sieben Heißluftballons über die Burg und vervollständigen so das traumhafte Bild.
Nach einer wundervoll ruhigen Nacht fahren wir am Samstag zur Teufelsgrube Velnio Duobe, die auf dem Weg in der Nähe von Aukštadvaris irgendwo mitten im Wald liegt. Nach drei Kilometern Schotterpiste erreichen wir einen kleinen Parkplatz direkt neben dem etwa vierzig Meter tiefen Krater, dessen Entstehung bis heute ungeklärt ist. Verschiedene Legenden erzählen Geschichten von Geistlichen, die sich hier mit jungen Frauen vergnügt haben sollen. Der Zorn der Götter ließ sie dann vom Erdboden verschlucken, wodurch die Grube entstanden sei. Nun feiern hier die Teufel um Mitternacht, weshalb der Ort “die furchtbare Teufelsgrube” genannt wird. Wir wandern hinunter zum Grund der Teufelsgrube und haben das Glück, dass uns der düstere Geselle beim aktuellen Sonnenschein nicht in die Quere kommt.
Von der Teufelsgrube geht es für uns weiter nach Kaunas, der zweitgrößten Stadt Litauens. Auch Kaunas war einmal die Hauptstadt Litauens und zwar zwischen den beiden Weltkriegen von 1920 bis 1940, bevor dieser Titel wieder an Vilnius ging.
Am Stadtrand von Kaunas stehen wir auf einem Campingplatz am Ufer eines großen Badesees, an dem beim aktuellen Sommerwetter entsprechender Betrieb herrscht. Genau so viel Betrieb herrscht allerdings auch auf der Autobahn, die am Platz vorbei führt, wodurch die Zeit dort nicht besonders gemütlich wird. Insgesamt geht es aber und wir bleiben hier für zwei Nächte. Den Sonntag verbringen wir mit der Erkundung der Altstadt von Kaunas. Ein Linienbus bringt uns vom Campingplatz bis zur Burg, von dort aus geht es zu Fuß durch die breite Fußgängerzone, die von vielen Cafés und Restaurants gesäumt ist. Nach einem leckeren Eis, diesmal sind die Geschmacksrichtungen Basilikum und Schafskäse dabei, fahren wir wieder zurück zum Platz.
Montag Vormittag fahren wir von Kaunas in nordwestliche Richtung bis nach Šiauliai und noch etwa zehn Kilometer weiter zum sogenannten Kreuzhügel Kryžių kalnas.
An diesem Hügel wurden seit dem 19. Jahrhundert Kreuze für die im Krieg verschollenen Soldaten aufgestellt, was sich ab den 1950er Jahren in den Augen der sowjetischen Besatzer Litauens zu einer systemkritischen Gedenkstätte entwickelte. Trotz mehrfacher Räumung und Zerstörung durch Bulldozer in den 1960er und 70er Jahren wurden andauernd immer mehr Kreuze angebracht, sodass der Kryžių kalnas zu einer wahren Pilgerstätte wurde. Seine Krönung erhielt der Kreuzhügel 1993 durch Papst Johannes Paul II, der hier vor hunderttausend Menschen eine Messe hielt und den Bau des nahe gelegenen Klosters anordnete. Studenten der Universität Vilnius haben um 1990 versucht, die genaue Anzahl der Kreuze am Kryžių kalnas zu ermitteln, mussten aber bei 50.000 aufgeben, da es unmöglich war, sie alle zu erfassen. Heute gibt es bestimmt mehr als doppelt so viele, die von Pilgern und Touristen ganz einfach an Verkaufsständen neben dem Informationszentrum erworben werden können.
Wir gehen vom Parkplatz, auf dem wir gut übernachten können, einige Male zu den Kreuzen und lassen die mystische Stimmung bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen auf uns wirken.
Unser nächstes Ziel in Litauen könnte kein größerer Kontrast zur friedlichen Atmosphäre des Kreuzhügels sein. Wir fahren nach Plokštinė zum ehemaligen sowjetischen Stützpunkt für Atomraketen. Dort, mitten im Wald des Žemaitija Nationalparks waren in vier dreißig Meter tiefen Silos bis 1978 die Raketen stationiert, die im Falle eines Falles europäische Städte zerstören sollten, darunter auch in Deutschland. Zum Glück ist es damals nie so weit gekommen.
Den Dienstag verbringen wir wegen des Regens im Wohnmobil auf dem kleinen Parkplatz der Anlage und machen uns dann am Mittwoch, bewaffnet mit einem Audioguide, an die Besichtigung des meist unterirdisch liegenden Stützpunktes. Die Geschichte und Bedeutung des Komplexes wird per Audio und mit vielen Schautafeln gut erklärt, wobei wir uns in dem riesigen Labyrinth aus massivem Beton und Stahl mehrfach verlaufen. Am Ende betreten wir eines der Silos, was uns die Dimensionen der von dort auf uns gerichteten Raketen noch einmal deutlich klar macht.
Auch wenn durch die Abrüstung Ende der 70er Jahre diese Anlage keine Bedrohung mehr darstellt, bleibt ein bedrückendes Gefühl.